Europäische Richtlinie zur außergerichtlichen Sanierung in greifbarer Nähe

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 22.11.2016 zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren (wir berichteten hierzu in der News vom 06.07.2017) liegt nunmehr – nach einer Vielzahl von Verhandlungen und diversen Anpassungen – in der aktuellen Fassung des Rates mit Stand vom 01.10.2018 vor.

Mit dieser aktuellen Fassung wurde einer Vielzahl von Bedenken gegen den ursprünglichen Entwurf Rechnung getragen – allerdings ist damit das Ziel, ein EU-weit einheitliches Sanierungsverfahren zu schaffen – in die Ferne gerückt, da nunmehr für nahezu alle Regelungen Abweichungsmöglichkeiten für die Mitgliedsstaaten vorgesehen sind.

Dennoch ist der generelle Antritt der EU-Kommission zur Schaffung eines solchen Verfahrens nach wie vor deutlich zu begrüßen.

 

Markante Aspekte des Richtlinien-Entwurfs in der aktuellen Fassung

Das Restrukturierungsverfahren soll Unternehmen zur Verfügung stehen, um die Insolvenz abzuwehren und „ihre Rentabilität sicher zu stellen“ (Artikel 4 Abs. 1)

Selbstverständlich sollte im Fokus eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens die Wiederherstellung der Rentabilität von in Schieflage geratenen Unternehmen stehen. Allerdings verbleibt für Liquidationsszenarien – etwa aufgrund fehlender oder gescheiterter Unternehmensnachfolge – allzu häufig nur der langsame Weg in die Insolvenz, sofern eine Liquidation mit vollständiger Befriedigung aller Gläubiger nicht möglich ist.

Ferner wird in der Praxis bei diesem Punkt eine besondere Herausforderung darin liegen, genau festzulegen, wann die Rentabilität eines Unternehmens sichergestellt ist. Reicht hierfür – entsprechend den Regelungen über die Bilanzierung zu Fortführungswerten (vgl. § 252 HGB) – die Liquiditätssicherung im laufenden und kommenden Jahr? Muss die Rentabilität nur sichergestellt, also positiv sein, oder wird der deutsche Gesetzgeber strengere Vorgaben machen? Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) hat in seinen Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) festgelegt, dass ein zu sanierendes Unternehmen am Ende der Sanierungsphase eine branchenübliche Rentabilität erlangen muss, um für Kapitalgeber wieder attraktiv zu sein.

 

Die Mitgliedsstaaten stellen „Krisenfrühwarnsysteme“ zur Verfügung (Artikel 3)

Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, auch Kleinst-, Klein- und mittelgroßen Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, an einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren zu partizipieren, obwohl diese häufig nicht die Ressourcen haben, durch die Beauftragung fachkundiger Berater oder die dauerhafte Beschäftigung entsprechender Controller aus eigener Kompetenz heraus zu erkennen, dass sie sich in einer (beginnenden) Unternehmenskrise befinden.

Hier ist mit Spannung zu erwarten, wie die nationale Gesetzgebung diese Vorgabe umsetzen wird – angesichts der Vielfältigkeit von Krisensymptomen, die je nach Branche, Unternehmensform und -größe unterschiedlicher kaum sein könnten. Ein derartiges „allgemeingültiges“ Krisenfrühwarnsystem wäre aus unserer Sicht regelmäßig zu evaluieren und entsprechend anzupassen.

 

Eine Aussetzung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen soll einer Höchstdauer unterliegen, dann aber auch eine eintretende Insolvenzantragspflicht suspendieren

Die Regelung, dass im vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren Vollstreckungsmaßnahmen auf Antrag ausgesetzt werden, kann hilfreich sein, dürfte aber nach unserer Einschätzung nur selten in Betracht kommen: Dieses Verfahren soll nur denjenigen Unternehmen zur Verfügung stehen, die noch nicht zahlungsunfähig sind. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind allerdings nach deutschem Recht nur möglich, wenn gegen den Schuldner eine titulierte Forderung besteht, die der Schuldner nicht begleicht. Dieses Verhalten eines Schuldners ist typischerweise ein Indiz für eine Zahlungseinstellung, und damit häufig in der Praxis für eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Allenfalls in den Fällen, in denen aus einem noch nicht rechtskräftigen und vom Schuldner mit Rechtsmitteln angegriffenen Titel vollstreckt werden soll, wird die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen tatsächlich nötig – dann allerdings auch äußerst sinnvoll – sein.

 

Der Eintritt in ein solches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren darf für Vertragspartner kein objektiver Grund für eine Kündigung oder Veränderung vertraglicher Bedingungen sein (Artikel 7 Abs. 5)

Diese Regelung ist für das zu sanierende Unternehmen und den möglichen Sanierungserfolg durchaus wichtig – für die beteiligten Gläubiger allerdings auch mit hohen Risiken verbunden. In der Beratungspraxis führt die Offenbarung von Sanierungsbemühungen bei Lieferanten häufig zu Zahlungszielverkürzungen, bei Kreditinstituten (sofern diese auskömmlich besichert sind) zu Kündigungs- oder Rückführungsüberlegungen, bei Kunden zu Zurückhaltung bei Bestellungen, aber auch bei Zahlungen bereits gelieferter Waren oder Dienstleistungen und auch bei Warenkreditversicherern zur Kündigung oder mindestens zu einer Limitbegrenzung bzw. -kürzung.

Nach dem vorliegenden Richtlinienentwurf darf eine Kündigung oder (einseitige) Zahlungszielverkürzung nicht mehr vorgenommen werden, weil sich der Kunde in einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren befindet oder die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen beantragt hat. Insbesondere besicherte Kreditinstitute werden durch diese Regelung zukünftig erhöhten Ausfallrisiken ausgesetzt – ein Ergebnis, das die EU-Kommission gerade nicht erreichen will. Revolvierende Sicherheiten (z.B. die Sicherungsübereignung des Warenlagers oder Sicherungsabtretung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) verlieren ggf. während der Dauer des Sanierungsprozesses an Wert, ohne dass es dem Kreditinstitut als Sicherungsnehmer möglich ist, diesem Umstand etwa durch eine Kreditlinienreduzierung zu begegnen.

Voraussetzung für ein solches Kündigungs- oder Vertragsanpassungsverbot ist allerdings nach den Vorgaben der Richtlinie, dass sich das zu sanierende Unternehmen bisher vertragstreu verhalten hat und dieses vertragstreue Verhalten auch während der Sanierungsphase beibehält. Sobald das Unternehmen Zugeständnisse verhandeln will (oder muss), wird es vermutlich auch unter den Regelungen des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens zu Vertragsanpassungen im Übrigen kommen.

 

Die wesentlichen Inhalte eines vorinsolvenzlichen Sanierungsplans sind in der Richtlinie verankert (Artikel 8)

Artikel 8 Absatz 1 des Richtlinien-Entwurfs regelt die Mindestinhalte eines Restrukturierungsplans wie folgt:

  • die Identität des Schuldners (…);
  • die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu Zeitpunkt der Einreichung des Restrukturierungsplans, eine Beschreibung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und der Position der Arbeitnehmer sowie eine Beschreibung der Ursachen und des Umfangs der (…) Schwierigkeiten des Schuldners;
  • die (…) betroffenen Parteien, die entweder namentlich zu nennen oder unter Bezugnahme auf (…) Schuldenkategorien nach nationalem Recht zu beschreiben sind, sowie ihre unter den Restrukturierungsplan fallenden Forderungen oder Beteiligungen;
  • die Klassen, in die die betroffenen Parteien für die Zwecke der Annahme des Restrukturierungsplans gruppiert werden (…) und (…) die jeweiligen Werte der Forderungen oder Beteiligungen in jeder Klasse;
  • die (…) Parteien – die entweder namentlich zu nennen oder unter Bezugnahme auf (…) Schuldenkategorien nach nationalem Recht zu beschreiben sind –, die vom Restrukturierungsplan nicht betroffen sind, zusammen mit einer Erläuterung der Gründe, aus denen sie unberührt bleiben sollen;
  • die Bedingungen des Restrukturierungsplans, unter anderem und insbesondere
    • (…) vorgeschlagene Restrukturierungsmaßnahmen (…);
    • die vorgeschlagene Laufzeit solcher Maßnahmen;
    • eine neue Finanzierung, die als Teil des Restrukturierungsplans erwartet wird und die Gründe für die Notwendigkeit der Umsetzung dieses Plans sowie;
  • eine (…) Begründung (…), in der erläutert wird, warum eine begründete Aussicht besteht, dass der Restrukturierungsplan die Insolvenz des Schuldners verhindert und die Rentabilität des Unternehmens gewährleistet, einschließlich der notwendigen Voraussetzungen für seinen Erfolg.

Diese Anforderungen dürften – in nationales Recht umgesetzt – den notwendigen Inhalten eines Sanierungsgutachtens nach der aktuellen BGH-Rechtsprechung nahekommen und zusätzlich Elemente eines Insolvenzplans enthalten (Gruppenbildung). Dies ist zwar verständlich, wird aber wiederum dazu führen, dass kleine und Kleinstunternehmen die Eintrittshürde für ein solches vorinsolvenzliches Verfahren nur selten überwinden werden. Damit verbleibt es für diese Unternehmen wahrscheinlich bei dem bisherigen Procedere, ohne die Hilfe professioneller Dritter einen Sanierungsversuch in einer rechtlichen Grauzone zu unternehmen. Es bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber für dieses Dilemma eine Lösung finden wird.

 

Fazit und Folgen für die Praxis

Die Idee der Kommission, ein einfaches, unbürokratisches Restrukturierungsverfahren zu schaffen, ist nach wie vor zu begrüßen. Die Umsetzung in deutsches Recht und insbesondere die Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzungen werden allerdings für den deutschen Gesetzgeber herausfordernd. Es bleibt zu wünschen, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorlage der EU-Kommission nutzt, um vor allem für den Mittelstand und damit für eine Vielzahl von Familienunternehmen eine tatsächlich einfachere und unbürokratischere Möglichkeit der haftungsfreien Restrukturierung zu schaffen.

AMB unterstützt Sie in bei der Überwindung Ihrer Unternehmenskrise und begleitet Sie in diesem Zusammenhang auch kompetent bei der Umsetzung von MaßnahmenSprechen Sie uns an, um gemeinsam mit uns ein schlüssiges und den Anforderungen der Rechtsprechung genügendes Sanierungskonzept für Ihr Unternehmen zu erstellen oder ggf. auch gerichtliche Sanierungswege beispielsweise im Wege eines Insolvenzplanverfahrens zu beschreiten, um zusammen mit uns Ihr Unternehmen aktiv aus der Krise zu manövrieren.