Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren – der große Wurf auf dem Weg zu einer neuen Sanierungskultur?

Die EU-Kommission hat in ihrer Richtlinie COM 723 eine Empfehlung für die Einrichtung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens erarbeitet. Ziel dieser Richtlinie und ihrer Umsetzung ist – neben der gewünschten Harmonisierung der verschiedenen nationalen Sanierungssysteme – die Schaffung eines unbürokratischen Sanierungsverfahrens, mit dem Unternehmen in Krisensituationen schnell und weitgehend ohne staatliche Eingriffe saniert werden können.

Wesentliche Eckpunkte des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens

Zugang zu dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren sollen alle Unternehmen haben, die noch nicht insolvenzantragspflichtig sind.

Unklar ist noch, ob das betroffene Unternehmen jedenfalls drohend zahlungsunfähig sein muss – in diesem Fall stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zu dem bereits im deutschen Recht verankerten Schutzschirmverfahren. Möglicherweise wird dieses Verfahren weitgehend obsolet, wenn das neu zu schaffende vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren nur Unternehmen zur Verfügung stehen soll, die derzeit als Adressaten des Schutzschirmverfahrens zu sehen sind.

Das Unternehmen führt während der Restrukturierungsphase die Geschäfte selbst, die Bestellung eines Sachwalters ist grundsätzlich nicht vorgesehen.

Diese Regelung soll Unternehmer motivieren, sich frühzeitig um die Restrukturierung ihres Unternehmens zu kümmern. Der trotz ESUG immer noch häufig anzutreffenden Furcht vor Kontrollverlust soll auf diese Weise positiv begegnet werden.

Während der Restrukturierungsphase kann das Unternehmen die Aussetzung der Zwangsvollstreckung bei Gericht beantragen.

Analog zu den bisherigen Regelungen des Schutzschirmverfahrens soll dem schuldnerischen Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, in Ruhe und ohne das „Störfeuer“ von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen einen Restrukturierungsplan zu erarbeiten. In der Praxis wird sich allerdings häufig die Frage stellen, ob Unternehmen, die von solchen Vollstreckungsmaßnahmen betroffen sind, nicht im Regelfall zahlungsunfähig und somit bereits insolvenzantragspflichtig sind.

Zudem soll die Insolvenzantragspflicht für die Dauer der Verhandlungen ausgesetzt werden.

Diese geplante Regelung ist zu begrüßen, da sie eine rechtliche Klarheit schafft und das häufig anzutreffende Problem der Haftung – sowohl des Unternehmers selbst als auch der Unternehmens- und Steuerberater – mildert: Solange das Unternehmen sich im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren befindet, soll es unabhängig von der tatsächlichen Unternehmensentwicklung nicht insolvenzantragspflichtig sein. Spannend wird hierzu hingegen die Frage, ob daneben auch weitere (Straf-)Tatbestände suspendiert werden, etwa die Bankrottdelikte der §§ 283ff StGB (LINK). Auch die Frage der möglichen Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen des Schuldners während des Restrukturierungsphase lässt die Richtlinie leider offen.

Wenn ein Restrukturierungsplan vorliegt, soll darüber in Gruppen abgestimmt werden.

Stimmen nicht alle Gläubiger der Restrukturierung zu, kann das Gericht – ähnlich dem Vorgehen im Insolvenzplanverfahren – die Zustimmung einzelner ersetzen und damit auch gegen einzelne Gläubiger den Restrukturierungsplan einschließlich der damit ggf. verbundenen Zugeständnisse (Stundungen, Verzichte etc.) wirksam werden lassen. Problematisch an der Vorlage der EU-Kommission ist insoweit, dass das Restrukturierungsverfahren eigentlich ohne staatliche Eingriffe durchgeführt werden soll. Wenn nunmehr eine Zustimmungsersetzung zur Durchsetzung eines Moratoriums notwendig wird, soll dies gerichtlich erfolgen. Eine Zustimmungsersetzung kann aber nur in Betracht kommen, wenn durch das Moratorium die zu überstimmenden Gläubiger nicht benachteiligt werden – und wohl auch nur, wenn das Moratorium für die Restrukturierung notwendig ist. Hier wird wohl für eine interessengerechte Entscheidung der Gerichte die Vorlage eines Sanierungsgutachtens notwendig sein, auf dessen Basis das Gericht innerhalb von 30 Tagen (so die Richtlinie) eine Entscheidung zu treffen hat. Angesichts der Tatsache, dass das Gericht bis zur Vorlage des Sanierungsgutachtens von dem Sachverhalt im Zweifeldfall noch keinerlei Kenntnis hatte, erscheint die zeitliche Vorgabe kaum zu halten zu sein. Das Ziel der EU-Kommission, insbesondere auch für kleine Unternehmen einen rechtssicheren Restrukturierungsrahmen zu schaffen, könnte damit schon an der Notwendigkeit eines Sanierungskonzeptes scheitern.

Fazit und Folgen für die Praxis

Die Idee der Kommission, ein einfaches, unbürokratisches Restrukturierungsverfahren zu schaffen, ist nach wie vor zu begrüßen. Derzeit bewegen sich Unternehmen wie auch deren Berater bei außergerichtlichen Restrukturierungen ständig auf unsicherem Terrain, vor allem bezüglich der Haftungsfragen. Die Umsetzung in deutsches Recht und auch die Abgrenzung zu dem durch das ESUG geschaffenen Schutzschirmverfahren werden allerdings für den deutschen Gesetzgeber herausfordernd. Es bleibt zu wünschen, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorlage der EU-Kommission nutzt, um vor allem für den Mittelstand und damit für eine Vielzahl von Familienunternehmen eine tatsächlich einfachere und unbürokratischere Möglichkeit der haftungsfreien Restrukturierung zu schaffen.
AMB blickt auf jahrelange Erfahrungen in der Unternehmenssanierung zurück und begleitet Sie auch in diesen Fragen kompetent. Sprechen Sie uns an!